Seit einigen Tagen mache ich mir Gedanken zum Thema Prostitution. Es schwingt ganz beiläufig mit, nach einem Telefonat mit einem Kollegen, der als Tantramasseur tätig ist. Ich habe ihn gefragt, warum er ausschließlich in den Studios arbeitet, ja sorgar Klient*innen, die ihn privat / direkt kontaktieren dorthin umleitet (man gibt dort u.a. regulär 50% seiner Einnahmen ab). Seine Antwort darauf hin war, dass die Ausläufer des vor 2 Jahren verabschiedeten “neuen” Prostitutionsschutzgesetzes irgendwann auch mal die Behörden Berlins erreichen würden, und er sich spätestens dann mit einer Tätigkeit in einem der anerkannten Studios auf der sicheren Seite fühlen würde.
Immer mal wieder habe ich daraufhin in den vergangenen Sexological Bodywork und Tantra-Sessions innegehalten und mit diesem Gedanken im Hinterkopf die sich vor mir entfaltende Situation betrachtet: Eine Frau, die unter meinen Händen ganz lauschend und ehrfüchtig die Intensität zarter Berührungen das erste Mal voll bewusst erlebt. Der angespannte Mann, der seinen Kopf ganz sacht in meine Hand schmiegt und vermutlich zum ersten Mal seit Jahren aufhört, sich zellulär im Beisein eines anderen Menschen zusammen zu reissen.
Menschen zahlen mir Geld dafür, dass ich ihre Körper berühre. Nicht ausschließlich, aber unter anderem berühre ich Genitalien. Brüste. Hoden. Ani. Vulven. Vaginas. Ich liebe das.
Die Verletzlichkeit von Körpern und Seelen rührt mich zutiefst. Gerade meine tantrischen Sessions begreife ich persönlich inzwischen als erotische Trancen. Ich öffne einen Raum, in dem Körper schwingen, klingen und fließen dürfen. Manchmal laufen sie dabei über. In Form von Tränen und anderen Körperflüssigkeiten. Gefühlen. Oder Worten. Und manchmal nicht.
Laut Auslegung des Gesetzes bin ich also – vermutlich – eine Prostituierte. Dabei verstehe ich mich gar nicht als solche. Mache ich mir da vielleicht einfach nur etwas vor?
In 95% meiner Sessions arbeite ich mit one-directional-touch. Ich berühre. Der*ie andere lässt sich berühren. Einvernehmlich. Ich hole mir dafür JEDES Mal explitzit die Erlaubnis meines Gegenübers ein – anders als ich es von z.B. medizinischen Untersuchungen kenne. Die restlichen 5% sind Übungscontainer, wenn jemand ausprobieren darf in der Berührung zu nehmen (zB. von meiner Hand) oder Berührungsqualitäten übt. Ich glaube für eine Klientin war es Mal ein riesen Mutschritt, darum zu bitten, mich küssen zu dürfen. Und weil das in dem Moment aus meiner Sicht als Erfahrung für sie wichtig war, habe ich sie mich küssen lassen. Und geschaut, dass wir beide präsent bleiben. Ich habe noch NIE mit einem*r Klient*in geschlafen. Noch nicht mal an dem einen Tag, an dem ich in einem Bordell gearbeitet habe. Das war nicht meins. Nicht so.
Ich erlebe mich in meiner Arbeit als Bodyworkerin eher wie eine Körpertherapeutin und Schwellenhüterin.
So öffne ich meinen Klient*innen durch Berührung – mit Worten, Händen, Geräuschen, Gesten, Tönen, Bildern, Klängen, Gerüchen – einen Selbsterfahrungsraum, den sie im 0 8 15 Alltag und “Sex” – brav nach kulturell vorgelebtem Skript ausgeführt – nicht erleben. Noch nie erlebt haben. Und vielleicht auch nie wieder nach mir erleben werden. Es ist mir dabei völlig egal, ob jemand kommt oder geht. Entscheidend ist, dass er da ist. Jetzt, mit mir. Im Augenblick. Dafür sorge ich. Und ich glaube es funktioniert gerade so gut, weil die physische sexuelle Vereinigung off the table ist.
Ich zwinge die Körper unter meinen Händen manchmal in eine Reaktion und bin mir der Manipulation darin bewusst. Aber genau das ist ein Stück weit die Lebendigkeit und das Spiel, was mich an meiner Arbeit erfreut und interessiert. Meine Lebendigkeit lebendig sein lassen dürfen und damit die unschuldige, zarte und wilde Lebendigkeit eines anderen Körpers auf die Spielwiese einzuladen. Von irgendwo, da ganz weit hinten, zwischen Repression und Depression, Selbstzweifeln, Selbsthass, Resignation & Starre hervorzulocken. Hin zu mir. Auf die Matte. Hier.
Meine Berührungsqualität, mein erotisches sinnliches Wesen ist etwas, dass sicherlich immer schon in mir geschlummert hat. So wie es jedoch heute zum Tragen kommt, ist es eine Fähigkeit, die ich durch zahlreiche Ausbildungen in den Bereichen Berührung, Sexualität und Bewusstsein und langjährige private und berufliche Praxis-Erfahrung vertieft und verfeinert habe.
Ich verkaufe keine Dienstleistung. Ich verkaufe eine Erfahrung.
Meine Ausbildung zur Sensual “freien” Britta 2.0 hat mich tausende – wenn nicht sogar eher zehntausende von Euros und unfassbar viel Zeit gekostet. Ich denke nicht so viel darüber nach. Weil es wirklich jeden Cent wert war.
Und ein Teil von mir ist es in letzter Zeit satt, Stundenpreise oder Workshoppreise festlegen und regelmäßig diskutieren zu müssen. Ein Teil von mir ist müde davon, dass unsere Kultur soviel Angst vor der Macht und Schönheit von sexueller Kraft und Ausdruck (freak’in ungebremster Lebenspower), vor allem jedoch weiblicher Sexualität hat, dass meine Tätigkeit zumindest per Definition als Prostitution (Konnotation Opfer / Grauzonenkriminelle) abgestempelt wird. Was in unserer Kultur nach wie vor kein Aushängeschild ist auf das z.B. meine Eltern stolz sein könnten. Auch bin ich es satt, dass die Themenbereiche, zu denen ich arbeite, kulturell so tabu sind (ja, auch in Deutschland im Jahr 2019), dass ich manchmal – wie zuletzt beim Female Orgasm Workshop vergangenen Sonntag das Gefühl habe, eher underground Revolutionsarbeit feil zu bieten, als einen offenen Bildungsdiskurs zu einem offensichtlich nicht ausreichend beleuchteten Thema zu führen.
The simple truth, warum Frauen nicht kommen?
Weil dafür einfach kein Platz ist. Weder in den konditionierten Köpfen. Noch in den angespannten Körpern. Geschweige denn in dieser lust- und ekstasefeindlichen abgehetzten Kultur, deren einzige Räume für Trance und Mystik sich dem Suchenden im Verborgenen eröffnen. Da wo man laut Gesetz und vorherrschender Moral nicht hingehen soll.
In meiner Arbeit entscheide ich mich zu Kommen. Mich preiszugeben (lat. prostituere) und voll einzulassen. Auf all diese Körper. Ihre Zartheit. Ihre Sehnsucht. Ihre Freude und ihren Schmerz. Ich halte sie. Ich fühle sie in mir. Ich penetriere sie. Mit meiner Lust. Meiner Liebe. Meiner Leidenschaft. Ich arbeite Selbst. Und ständig.
Ich hab keine Lust mehr auf die Vorgaben durch ein Studio (bzw. meine Angst davor, es alleine nicht gewuppt zu bekommen). Ich hab keinen Bock mehr auf das Spukgespenst namens ProstG (bzw. meine Angst davor, irgendwelche grauenhaften Konsequenzen – moderner Scheiterhaufen?! – tragen zu müssen). Auch habe ich keine richtige Lust mehr im “Verborgenen” Mysterien zu hüten.
Ich finde mich mutig. Und möchte mich dafür heute feiern. Und ich möchte alle selbstbestimmten Männer und Frauen, die sich dazu entschließen mit Sexualität und somit mit Tabu, Scham, Schuld, Schmerz, Trauma, Heilung, gesellschaftlicher und individueller Transformation und Freiheit zu arbeiten, feiern.
Sexualität ist so viel mehr als Penis in Vagina.
Sie ist unser Motor. Unsere Lebenskraft. Die kreative Schaffenskraft und der individuelle sich in die Welt aussäen wollende Wesenskern. Wenn ich mir ihrer bewusst bin, wenn ich sie jederzeit spüren und lenken, verstärken auch schlicht und einfach da sein lassen kann, wenn ich in meinem tiefsten Kern weiß und spüre, was ich liebe, was mich öffnet, entspannt, erfreut, mich sicher fühlen lässt – und was nicht (!), dann nähere ich mich einer großen Selbstbestimmtheit.
Diese Freiheit kann in unserer Kultur nur jemand erreichen, der u.a. beyond the paradigm of Sex = “Penis in Vagina”, oder meinetwegen auch “Penis in Anus”, oder “Vulva an Vulva”, und wenn “gut” dann Orgasmus geht.
Einen Lernraum und Zugang dafür biete ich.
Was ist ein solcher Erfahrungsraum wert?
Na. Was meinst du?
Nächtliche Grüße
Britta
Maren
7 Nov 2019Sehr schöne und beeindruckende, teils auch beklemmende Worte und Gedanken. Und ja, auch mutig.
♡